Heute möchte ich aus gegebenem Anlass über Perfektionismus schreiben. Es ist nämlich so, dass dieser dritte Blogbeitrag schon längst hätte fertig sein können, wenn ich nicht wieder einmal in die Perfektionismusfalle getappt wäre …
Normalerweise habe ich das inzwischen gut im Griff, aber hin und wieder, wenn ich nicht aufpasse, erwischt es mich doch. Dann hilft es mir, mir klarzumachen, dass ich nicht „perfekt“ sein muss, sondern dass es reicht, wenn ich mein Bestes gebe und es damit gut sein lasse. (Weitere Tipps zum Umgang mit Perfektionismus findet ihr am Ende des Blogs.)
Was ist Perfektionismus?
Perfektionismus ist ein weit verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft. Viele Menschen streben danach, alles richtig zu machen, keine Fehler zu machen und alle Erwartungen zu erfüllen. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst und auch an andere Menschen. Sie leisten häufig hervorragende Arbeit.
Das klingt erst einmal ganz wunderbar. Tatsächlich haben Perfektionisten viele gute Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, einen Blick für Details, Leistungsbereitschaft, ein hohes Verantwortungsbewusstsein usw.
Man sollte meinen, dass diese Eigenschaften sehr hilfreich dafür sind, gut durchs Leben zu kommen. Und das sind sie auch – bis zu einem gewissen Grad. Das Problem fängt da an, wo diese Eigenschaften im Übermaß vorhanden sind.
Das Eigenschaftskontinuum
Generell ist es so, dass Eigenschaften keine einfachen Gegensatzpaare sind (z.B. sparsam <-> verschwenderisch), sondern dass man sie sich eher wie ein Kontinuum vorstellen kann, hier als Beispiel der Umgang mit Geld:
Dieses Kontinuum kann man für alle Eigenschaften finden, und im Allgemeinen gilt, dass es am besten ist, sich irgendwo in der Mitte, im grünen Bereich aufzuhalten. Zwischen „Sparsam“ und „Großzügig“ ist alles ok. Wo genau ich mich auf dem Kontinuum einsortiere, bestimmt sich durch meine persönliche Bandbreite (das ist der Bereich, der mir aufgrund meiner genetischen Disposition zugänglich ist) und meine persönliche Präferenz (innerhalb der mir zugänglichen Bandbreite kann ich entscheiden, wo ich mich positioniere).
Wenn ich aber zu weit außen liege, werde ich wahrscheinlich Probleme bekommen – sei es, dass ich permanent mit neuen Schulden zu kämpfen habe, weil ich nicht mit Geld umgehen kann, oder dass ich zwar viel Geld auf der Bank habe, aber keine Freunde, weil ich jede gemeinsame Unternehmung als „unnütze Geldausgabe“ ablehne.
Für das Thema Arbeitseinstellung könnte man ein Kontinuum aufspannen, das ungefähr so aussehen könnte:
Perfektionisten können gar nicht anders, als immer im roten Bereich zu agieren. Sie denken in Extremen: wenn etwas nicht zu 100 % perfekt ist, dann ist es inakzeptabel!
Warum ist Perfektionismus oft schädlich?
Perfektionisten sind eigentlich immer wegen irgendetwas im Stress und führen dadurch ein sehr anstrengendes Leben. Sie können sich über ihre Erfolge nicht freuen, sondern sehen immer nur, was sie noch hätten besser machen können. Die negativen Folgen von Perfektionismus sind vielfältig und zeigen sich u.a. in folgenden Bereichen:
- Gesundheit:
Perfektionismus kann zu Überforderung, chronischem Stress, Burnout, Schlafstörungen, Essstörungen oder psychosomatischen Beschwerden führen, und er kann das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Zwangsstörungen erhöhen. - Leistungsvermögen:
Perfektionismus kann zu Prokrastination („Aufschieberitis“), Blockaden oder Versagensängsten führen. Er kann unsere Flexibilität und unsere Lernbereitschaft einschränken, denn wer etwas Neues nur anfängt, wenn er / sie sicher ist, dass das Ergebnis perfekt wird, verpasst viele Wachstumschancen. Er kann uns dazu bringen, uns auf unwichtige Details zu konzentrieren oder uns unrealistische Ziele zu setzen. - Beziehungen:
Perfektionismus kann unsere Empathie, unsere Kommunikation und unsere Kooperation mit anderen beeinträchtigen. Perfektionisten kritisieren häufig andere, leiden dabei aber selbst unter verminderter Kritikfähigkeit. So kann Perfektionismus zu Isolation, Konflikten oder Enttäuschungen führen.
Wie kommt es, dass manche Menschen Perfektionisten sind?
Perfektionisten glauben, dass sie nur dann wertvoll sind und von anderen Menschen anerkannt oder geliebt werden, wenn sie perfekt sind.
Deshalb sind Perfektionisten oft sehr selbstkritisch und haben Angst vor Kritik, Ablehnung oder Versagen. Sie investieren viel Zeit und Energie in ihre Aufgaben, um Fehler zu vermeiden oder zu korrigieren. Sie vergleichen sich ständig mit anderen und messen ihren Wert an ihrem Erfolg.
Es fällt ihnen schwer, zwischen Verhalten und Identität zu unterscheiden und zu glauben, dass man sie „einfach so“ mögen könnte, ohne dass sie eine Leistung dafür erbringen müssen.
Perfektionismus kann verschiedene Ursachen haben. Einige mögliche Faktoren sind:
- Kindheit und Erziehung:
Manche Menschen haben in ihrer Kindheit gelernt, dass sie nur geliebt oder akzeptiert werden, wenn sie hohe Erwartungen erfüllen. - Gesellschaft / das Umfeld:
Manche Menschen sind von einer Leistungsgesellschaft geprägt, die ihnen ständig suggeriert, dass sie mehr tun, besser sein und sich von der Masse abheben müssen. Sie sind von Medien, Werbung oder sozialen Netzwerken beeinflusst, die ihnen ein idealisiertes Bild von Erfolg, Schönheit oder Glück vermitteln. - Persönlichkeit:
Manche Menschen haben eine genetische Veranlagung, die sie anfälliger für Perfektionismus macht. Sie haben vielleicht einen hohen Anspruch an sich selbst, sind sehr gewissenhaft oder haben eine geringe Frustrationstoleranz. Oder sie sind sehr beziehungsorientiert und es ist ihnen sehr wichtig, das andere gut über sie denken.
Wie schafft man es, weniger perfektionistisch zu sein?
Ja, das geht! Zwar ist Perfektionismus nicht etwas, was man einfach abstellen kann. Es ist ein tief verwurzeltes Muster, das sich über Jahre oder Jahrzehnte entwickelt hat. Dennoch ist es möglich, einen gesünderen und realistischeren Umgang damit zu finden. Die Mühe lohnt sich auf jeden Fall, weil man dadurch gelassener, entspannter und zufriedener durchs Leben gehen kann.
Hier ein paar Tipps, die helfen können, besser mit dem eigenen Perfektionismus umzugehen:
- Sich selbst beobachten, um Perfektionismus zu erkennen
- Sich immer wieder fragen, ob in der aktuellen Situation tatsächlich Perfektion nötig ist, oder ob es ein „Gut ist gut genug!“ auch tut. Im normalen Leben wird letzteres oft der Fall sein. Z.B. darf eine Mail auch mal einen Tippfehler haben. Niemand wird uns dafür verurteilen!
- Die eigene Unvollkommenheit (und die der anderen!) als menschlich akzeptieren: Niemand ist perfekt, und Fehler gehören zum Leben. Sie sind keine Zeichen von Schwäche oder Versagen, sondern von Lernen und Wachstum!
- Sich einen liebevollen und nachsichtigen Blick auf sich selbst und die Welt aneignen.
- Sich nicht mit anderen vergleichen. Stattdessen die eigenen Stärken wertschätzen: Fähigkeiten und Erfolge feiern!
Vielleicht nicht „perfekt“, aber einzigartig und charaktervoll: